Der gesellschaftlichen Realität Rechnung tragen – Einführung der Individualbesteuerung

Zweiverdiener-oder Einverdiener-Ehepaare oder Konkubinatspaare, Alleinerziehende, Alleinstehende, gleichgeschlechtliche Beziehungen und eingetragene Partnerschaften: Eine Vielfalt an Lebensformen ist heute Realität. Das Hochhalten des klassischen Einverdiener-Ehemodells ist weder zeitgemäss noch entspricht es der Realität. Das hat eine Mehrheit der Stimmberechtigten erkannt und die CVP-Ehe-Initiative am 28. Februar abgelehnt.

Im Abstimmungskampf war jedoch unbestritten, dass dort, wo eine steuerliche Mehrbelastung von Ehepaaren gegenüber Konkubinatspaaren besteht, diese beseitigt werden soll. Auch das umgekehrte – also Fälle, in denen Konkubinatspaare steuerlich schlechter gestellt sind, sollte gelten. Fiskalischen Ungleichbehandlungen von Ehepaaren und Konkubinatspaaren können und sollen durch eine zivilstandsunabhängige Besteuerung beseitigt werden.

Die Forderung nach einer Individualbesteuerung ist dabei nicht neu – bereits vor zehn Jahren forderte die FDP, unterstützt von der SP, mittels einer Motion den Systemwechsel auf die Individualbesteuerung. Sie ist die gerechteste und einfachste Methode, wie jeder und jede gemäss seiner und ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit besteuert wird.

Die Individualbesteuerung erlaubt nicht nur eine zivilstandsunabhängige Besteuerung, die die verschiedenen Lebensformen als gleichwertig anerkennt. Sie ist ebenso ein wichtiger Schritt zur Gleichstellung der Geschlechter. Denn die aktuelle Paarbesteuerung hält insbesondere Frauen von einer höheren Erwerbstätigkeit ab. Das ist gleichstellungspolitischer und volkswirtschaftlicher Unsinn und leistet den Bestrebungen des Bundesrats, das Arbeitsmarktpotential der Frauen zu stärken, einen Bärendienst.

Die Individualbesteuerung hingegen wirkt sich positiv auf die Erwerbstätigkeit von Frauen aus. So beziffert die Eidgenössische Steuerverwaltung, dass bei einem Wechsel zur Individualbesteuerung die Beschäftigung von verheirateten Frauen um bis zu 50’000 Vollzeitstellen zunehmen kann.

Dieses Potential wurde im Ausland längst erkannt. So ist die Individualbesteuerung in den meisten europäischen Ländern, wie Österreich, Schweden oder Grossbritannien, die Regel. Die Schweiz steht mit ihrem Steuermodell der Ehepaarbesteuerung nahezu alleine da.

Aber, so ist zu hoffen, nicht mehr lange. Mit der Motion der Finanzkommission wird der Bundesrat aufgefordert, so rasch wie möglich eine Gesetzesvorlage für die Individualbesteuerung vorzulegen. Die Motion lässt die Form offen – mögliche Modelle werden im vorliegenden Bericht skizziert. Die konkrete Modellwahl – ob eine reine oder modifizierte Individualbesteuerung mit Korrektiven wird ebenso wie die Frage der Finanzierung Gegenstand der Diskussion und Ausgestaltung sein.

In der heutigen Debatte geht es um einen Grundsatzentscheid, ob wir mit der Individualbesteuerung ein Steuersystem schaffen wollen, das nicht nur dem gesellschaftlichen Wertewandel, sondern auch den gleichstellungspolitischen Bestrebungen und positiven volkswirtschaftlichen Effekten Rechnung trägt.

Votum gehalten im Rahmen der Nationalratsdebatte zur Einführung der Individualbesteuerung. 

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