Das Finanzloch der Stadt Winterthur – jährlich rund 40 Millionen Franken – hängt wie eine schwere Last über Winterthur und zwingt die politische Auseinandersetzung in ein Korsett, das nur Diskussionen über Geld und nicht über Ideen erlaubt. Dabei wird das Bild des „strukturellen Defizits“ bemüht, das Winterthur zum Griechenland der Schweiz werden lasse (wie wenn nur Winterthur mit Finanzproblemen zu kämpfen hat…). Die Probleme seien hausgemacht, so der Tenor der bürgerlichen Parteien SVP, FDP, CVP und GLP. Nicht hinter vorgehaltener Hand, sondern mit ausgestrecktem Finger geben sie die Schuld den arbeitsscheuen Sozialhilfebezügerinnen und Sozialhilfebezüger, der aufgeblähten Verwaltung, dem bevormundenden Staat. Und mit erhobenem Zeigefinger fordern sie die Dreifaltigkeit ein: Sozialabbau, Stellenkürzungen, Privatisierungen.
Ich gebe den Bürgerlichen in einem Punkt recht. Das Defizit ist hausgemacht, denn es ist Folge ihrer Mehrheits-Politik der letzten Jahre. Dabei müssten sie aber eigentlich mit dem Finger auf sich zeigen. Warum?
Seit Jahren senken sie Steuern, von denen nur eine privilegierte Minderheit profitiert: Die Halbierung der Kapitalsteuer (2005), die Abschaffung der Handänderungssteuer (2005), höhere Kinderabzüge (2006, 2013), höhere Kinderdrittbetreuungskostenabzüge (2013), höhere Abzüge für politische Parteien (2012) oder der Ausgleich der kalten Progression (2012) reissen jährlich ein Loch von rund 38.75 Millionen Franken in die Stadtkasse – das entspricht fast haargenau dem Betrag, der jährlich der Stadt Winterthur „fehlt“. „Hausgemacht“ und „strukturell“ bekommen eine andere Bedeutung – die finanziellen Engpässe sind nicht Folge von ineffizienten Staatsangestellten oder zu hohen Sozialkosten, sondern sind Folge einer Politik, die nicht nur einen „schlanken“, sondern einen skelettigen Staat will.
Mit bitteren Folgen für die Menschen. Ein reduzierter Schneeräumungsdienst, weniger Schulreisen oder geschlossene Toiletten sind unnötig, ärgerlich und ein Verlust an Lebensqualität. Doch mit der drohenden Abschaffung der Gemeindezuschüsse geht es ans Lebendige. Den Schwächsten unter uns – Menschen, die trotz IV oder AHV nicht über die Runde kommen – soll der kleine Zustupf der Gemeindezuschüsse gestrichen werden. Sie würden durchschnittlich jährlich rund 1600 Franken weniger bekommen und somit einen Beitrag von 1600 Franken an die Sanierung der Stadtkasse leisten. Das ist nicht hinnehmbar.
Anstatt diesen Menschen noch die letzte Würde zu nehmen und sie von der Gesellschaft auszugrenzen, sollten wir vielmehr darüber diskutieren, wie sich Privilegierte, die jahrelang von Steuergeschenken profitiert haben, angemessen an der Zukunft der Stadt Winterthur beteiligen können – und sei es, dass die Steuergeschenke rückgängig gemacht werden.
Text erschienen am 15.11.2014 auf wandzeitung.ch