Als ich an diesem sonnigen Tag Mitte August im Park im italienischen Como stand und den Geschichten der Flüchtlinge zuhörte, überkam mich ein Gefühl der Ohnmacht. Da warten hunderte von Migrantinnen und Migranten, erschöpft von der monatelangen Flucht und zunehmend ungeduldig, weil die Ungewissheit unaushaltbar wird. Und was machen wir als Gesellschaft? Wir verweigern uns dieser Realität, obwohl eines klar ist: Die Geflüchteten werden bleiben. Nicht weil sie schlecht oder gut sind. Sondern weil ihnen keine andere Wahl bleibt. Ein Weg zurück gibt es nicht.
Was wir tun könnten? Handeln. Das beginnt damit, das Recht, ein Asylgesuch stellen zu können, auch als ein Recht zu belassen und nicht zu einer Prüfung verkommen zu lassen. Durch die kann fallen, wer im richtigen Moment nicht auf die Schweizer Fahne am Pullover des Grenzwächters zeigt, sondern Germany sagt. Wer aus lauter Nervosität und fehlender Sprachkenntnis nur den Zettel hinhält, auf dem italienisch „asilo“ steht, aber die Frage der Grenzwachtmitarbeiterin nicht beantwortet. Oder Sweden sagt, weil die Schwester schon dort ist. Dann wartet unweigerlich der Bus zurück nach Italien.
Klar, die Antwort ist nicht einfach. Das behauptet auch niemand. Aber wir können den ersten, wesentlichen Schritt machen und überhaupt damit beginnen, Antworten zu finden. Das geht nicht alleine, es braucht Europa. Denn wenn jedes Land nur zu sich schaut, dann lassen wir nicht nur die Länder an den europäischen Aussengrenzen zurück, sondern in erster Linie auch all die Menschen, die mit einer beeindruckenden Beharrlichkeit zeigen, dass sie sich ihr Recht auf ein menschenwürdiges Leben nicht nehmen lassen.
Dass es Antworten geben kann, zeigt ein ermutigendes Beispiel aus meiner Lieblingsstadt. Vor weniger als einem Jahr hat Winterthur gemeinsam mit der Kirchenpflege Veltheim in der ehemaligen Kirche Rosenberg eine Asylunterkunft geöffnet. Diese Geschichte zeugt davon, dass wir es schaffen können, Menschen auf der Flucht einen würdevollen Ort des Schutzes und des Ankommens zu bieten. Und sie erzählt eben auch davon, dass nicht Abschottung, Ausgrenzung und geschürte Angst uns weiterbringen, sondern die gemeinsame und erfolgreiche Suche nach Lösungen.
Ja, die einen fordern geschlossene Grenzen, befürworten Kriegswaffenexporte, kürzen bei der internationalen Entwicklungszusammenarbeit und fördern mit ihrer Steuerpolitik die Ausbeutung von ganzen Landstrichen und Menschen (die dann zur Migration gezwungen sind). Es darf uns aber keine Angst machen, dass sie dafür immer wieder beängstigend lauten Applaus erhalten. Im Gegenteil. Wir müssen wieder lauter werden. Das braucht vielleicht sogar etwas Mut, denn wir könnten damit „das Volk“ verärgern. Aber wenn wir uns ohnmächtig zurückziehen, lassen wir die Benachteiligsten zugunsten der Mächtigen im Stich. Und das kann nie eine Antwort sein.
erschienen in www.wandzeitung.ch am 26. September 2016