Die aktuelle Sozialhilfedebatte – ein Armutszeugnis für die Schweiz

In der aktuellen Sozialhilfe-Debatte werden Sozialhilfebezügerinnen und Sozialhilfebezüger wahlweise als „Schmarotzer“, „Drückebergerin“ oder „faule Arbeitsscheue“ verunglimpft. Ihnen wird unterstellt, lieber auf Kosten der Steuerzahlenden ein Leben in der Hängematte zu führen anstatt zu arbeiten. Das könne nicht länger geduldet werden, so der verbreitete Tenor der rechtschaffenen Politikerinnen und empörten Kommentarschreiber. Diese werden nicht müde, den viel zu fürsorglichen Staat, die viel zu grosszügige Sozialhilfe und den zu laschen Umgang mit den Leistungsbezüger_innen zu geisseln. Stattdessen fordern sie mehr Eigeninitiative, Leistungskürzungen und eine rigide Kontrolle, um die Sozialkosten in den Griff zu bekommen. Der verfassungsmässig garantierte Anspruch auf materielle Hilfe in Not verkommt immer mehr zu einem Straftatbestand, für den sich die leistungsbeziehende Person schämen und schuldig fühlen soll.

Seit den 90er Jahren hat die Sozialhilfe neben der Sicherung der materiellen Existenz auch die Aufgabe, die soziale und berufliche Wiedereingliederung der Sozialhilfebeziehenden zu gewährleisten. Die Betroffenen ihrerseits sind, unter Androhung von Leistungskürzung, zur Mitwirkung verpflichtet, indem sie beispielsweise an Integrationsmassnahmen teilnehmen. Durch Beschäftigungsprogramme sollen arbeitslose Sozialhilfebeziehende nicht nur wieder „fit gemacht“ werden für den Arbeitsmarkt, sondern sie sollen auch ihren Arbeitswillen unter Beweis stellen. Damit wird ihnen die Schuld an der Arbeitslosigkeit zugeschrieben: Hätten sie sich nur mehr angestrengt odr besser gearbeitet, würden sie heute nicht ohne Job dastehen.

Doch diese aktivierende Sozialpolitik zielt an der Realität vorbei. Warum? Einerseits geht sie von einem merkwürdigen Verständnis des Arbeitsmarktes aus. In ihrer Logik müsste es zahlreiche unbesetzte Arbeitsstellen geben, die nur auf die „aktivierten“ Sozialhilfebeziehenden warten. Dem ist nicht so – im Gegenteil. Viele der Betroffenen sind überhaupt in der Sozialhilfe gelandet, weil ihre Arbeitsstelle wegrationalisiert oder ausgelagert wurde. Niemals wird die Frage gestellt, was und wo sie denn arbeiten sollen. Egal ob in der Revision der Invalidenversicherung oder der Arbeitslosenversicherung, welche die Wiedereingliederung zum Ziel hatten: Die bürgerliche Politikerinnen und Politiker haben sich gemeinsam mit den grossen Wirtschaftsvertretern erfolgreich dagegen gewehrt, dass die Wirtschaft in die Pflicht genommen wird, solche Arbeitsstellen auch tatsächlich anzubieten. Sie haben es geschafft, dass die Arbeitslosigkeit privatisiert wird und Armut so nicht eine gesellschaftliche Herausforderung, sondern ein persönliches Problem darstellt.

Andererseits geht sie grundsätzlich davon aus, dass jeder Job ein guter Job ist und den Weg aus der finanziellen Abhängigkeit ebnet. Auch das stimmt nicht. Ein grosser Teil der Sozialhilfebeziehenden haben eine Arbeitsstelle. Aber sie verdienen zu wenig, um davon leben zu können. Ein riesiges Armutszeugnis für die reiche Schweiz.

Text erschienen am 14. März 2015 auf wandzeitung.ch

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