Die Auseinandersetzung innerhalb der SP über den Steuer-AHV-Deal war heftig. Die einen sehen darin eine verpasste Chance, aus dem Steuerdumping auszusteigen. Für die anderen ist es der Anfang vom Ende der Steuerprivilegien.
Immer aber waren wir uns in der Analyse einig: Die Steuervorlage befreit uns nicht aus der Erpressbarkeit durch das mobile, globale Kapital. Das Steuerdumping-Modell der Schweiz ist zerstörerisch. Werden Firmen mit Tiefst-Steuern angelockt, bedeutet das nicht nur fehlende Steuereinnahmen in der Schweiz. Sondern es wird damit in erster Linie Steuersubstrat in Milliardenhöhe anderswo vernichtet. Das hat reale Folgen für das Leben der Menschen in diesen Ländern: Es fehlt Geld für Infrastruktur, Bildung, Gesundheitsversorgung, verunmöglicht deren Entwicklung und bildet den Nährboden für Elend und Flucht.
Was wir in den letzten Jahrzehnten weltweit erlebt haben, war ein beispielsloser Siegeszug des Kapitals. Wenige hundert Konzerne legen fest, wie viele Steuern sie zahlen, welche Mindestlöhne und Umweltstandards sie akzeptieren wollen. Sie erheben eine 15 prozentige Eigenkapitalrendite zu einem Menschenrecht. Während die wirklichen Menschenrechte täglich verletzt werden. Ihre Drohung, jederzeit wegziehen zu können, wenn ihnen die Steuern, die ökologischen Standards oder die sozialen Rahmenbedingungen nicht passen, hat – unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt – Gewicht. Unsere Demokratien sind heute im Würgegriff dieser permanenten Drohkulisse. Die Wahl bleibt scheinbar nur zwischen Jobverlust bei Wegzug oder höhere Einkommensteuern für die Menschen. Und in Sambia wird die Bevölkerung gezwungen, entweder verschmutzte Flüsse und 18-Stunden-Arbeitstage hinzunehmen oder zu hungern. Dieser ruinöse Steuerwettbewerb bringt nichts anderes als eine Umverteilung von Arbeit zu Kapital und ist damit nicht nur stossend ungerecht, sondern auch volkswirtschaftsschädigend.
Längerfristig braucht es Antworten auf internationaler Ebene. Mit BEPS (base erosion and profit shifting) und dem Country-by-Country-Report kam in den vergangenen Monaten ein wenig Bewegung in die Sache in den OECD-Ländern. Firmen sollen in Zukunft verpflichtet sein offenzulegen, wo die Gewinne anfallen. Das Ziel müsste sein, dass Steuern vermehrt dort gezahlt werden, wo der tatsächliche Mehrwert erwirtschaftet wird. Heute jedoch werden die Profite in die Tiefsteuerländer verschoben, wo sie kaum besteuert werden. Doch gerade die Schweiz, die im weltweiten Steuerwettrüsten einen Spitzenplatz einnimmt, muss endlich ihren Beitrag dafür leisten statt weiter zu blockieren.
Die Steuervorlage 17 bringt immerhin eine Harmonisierung der Steuer-Privilegien auf OECD-Ebene. Das ändert allerdings nichts an der neokolonialen Ausbeutung des globalen Südens durch das Steuerdumping in den Ländern des Nordes. Ein erster Schritt hin zu mehr Steuergerechtigkeit in der Schweiz wäre eine Eindämmung des ruinösen interkantonalen Steuerwettbewerbs. Es kann doch nicht sein, dass sich die Kantone innerhalb der Schweiz Steuersubstrat wegnehmen und gleichzeitig vernichten. Eine Schweiz, in der die Kantone sich gegenseitig zu Leide werken, kann nicht unsere Schweiz sein.
Deshalb braucht es jetzt eine doppelte Strategie nach vorne. Erstens müssen wir Übertreibungen in den kantonalen Steuerreformen in den kommenden Monaten bekämpfen und für Gegenfinanzierungen in den Kantonen sorgen. Wir werden wie bei der Unternehmenssteuerreform III weiterhin nicht akzeptieren, dass die Bevölkerung die leistungsfreien Gewinne der Konzerne finanzieren muss. Zweitens, so schlagen wir vor, muss die Linke mit einer Volksinitiative wieder in die steuerpolitische Offensive gehen. Eine Initiative, die die Unternehmenssteuern schweizweit harmonisiert, den Finanzausgleich so reformiert, dass der interkantonale Wettbewerb eingedämmt wird, und einen klaren Auftrag an die Politik formuliert, auch international für mehr Steuergerechtigkeit zu sorgen. Das globale mobile Kapital bezieht hier wie anderswo Leistungen der öffentlichen Hand und hat seinen Anteil daran zu leisten.
Steuerpolitik entscheidet über die Verteilung von Reichtum und Macht in unserer Gesellschaft. Eine Linke ohne eigene steuerpolitische Vorstellungen ist eine Linke ohne Anspruch, die Welt gerechter zu machen. Sie gehört ins Zentrum sozialdemokratischer Politik.
Jacqueline Badran, Mattea Meyer, Fabian Molina, Cédric Wermuth. Text in gekürzter Fassung erschienen im PS am 5.Oktober 2018.