Kein richtig im Falschen

Kein richtig im Falschen

Manchmal gibt es Abstimmungen im Nationalrat, bei denen weder Ja noch Nein richtig ist. Wie vor ein paar Tagen, als das Parlament über die Weiterführung der Schweizer Beteiligung an Frontex diskutierte. Als Mitglied des Schengen-Abkommens beteiligt sich die Schweiz seit 2009 an dieser europäischen Grenz- und Küstenwache. Im Zuge der Flüchtlingsdebatte im Jahr 2015 wurden die Kompetenzen von Frontex massiv ausgebaut. Weit gefehlt, dass es dabei in erster Linie um die Rettung von ertrinkenden Flüchtenden geht. Frontex wurde vielmehr als europaweite Agentur ausgebaut, deren erklärtes Hauptziel die Überwachung und Sicherung der EU-Aussengrenzen ist. Zudem soll Frontex vermehrt auch Rückschaffungen von abgewiesenen Asylsuchenden durchführen. Und das nicht etwa nur von Italien oder Griechenland aus. Sondern direkt auf afrikanischem Boden. Der EU-Grenzzaun wird flugs auf den Nachbarskontinent verschoben. Und das alles wird als gute Tat des nördlichen Nachbarn verkauft: Wer ist schon dagegen, dass die Menschen abgehalten werden, den Tod in den Fluten des Meeres zu finden. (Währenddessen die private Seenotrettung nicht nur mittels Gewalt durch die libysche Küstenwache an der Hilfe gehindert, sondern auch noch beschuldigt wird, mit den Menschenhändler unter einer Decke zu stecken.)

Fakt ist: Es kommen zurzeit weniger Menschen nach Europa und insbesondere nach Italien. Das bedeutet aber nicht, dass weniger auf der Flucht sind. Sie schaffen es einfach nicht mehr bis hierher. Sie stecken in Lagern in Libyen fest, die – will man den Berichten von Medecin sans frontières Glauben schenken – die Hölle auf Erde sind. Nochmals andere stecken irgendwo in der Wüste fest und kommen weder vor noch zurück.

Geschlossene Grenzen als Antwort auf Millionen von Menschen auf der Flucht ist die zynischste Kapitulation vor den Folgen des globalisierten Kapitalismus. Wenn Menschen nicht im Mittelmeer ertrinken sollen, dann müssen wir sie nicht heroisch am Fliehen hindern. Sondern erstens sichere Fluchtwege bieten und zweitens den Menschen das Recht zugestehen, eine Perspektive im Herkunftsland zu haben. Indem wir kein Kriegsmaterial mehr exportieren, keine Steuerflucht mehr zulassen und die Konzerne in die Verantwortung nehmen, Menschenrechte, Umweltstandards und Arbeitsrechte einzuhalten.

Ich bin mir bewusst: Frontex gibt es so oder so. Würde die Schweiz nicht mitmachen, könnte die Aufkündigung von Schengen/Dublin drohen – die Rechten hätten ihr Ziel der Abschottung erreicht. Und die Grenzschutzagentur würde auch nicht solidarischer werden ohne uns (im Gegenteil). Aber trotzdem: Entgegen der Mehrheit der SP-Fraktion und des Rates habe ich Nein gestimmt. Weil ich es wichtig finde, dass es aus der Schweiz Kritik an Frontex gibt. Und zwar nicht eine europafeindliche Kritik à la SVP. Sondern eine Kritik, die ein Europa will, das solidarischer, offener und gerechter ist.

Text erschienen am 6.10.17 im PS.

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