Steuerhinterziehung angehen statt Arme drangsalieren

Bürgerliche Politik ist einfach gestrickt: Arme werden drangsaliert und ohne zu Zögern unter Generalverdacht gestellt. Wer Unterstützung vom Staat braucht, ist verdächtig und muss deshalb von Sozialhilfeinspektor überwacht werden. Kurzum: Wer arm ist, soll sich schämen und schuldig fühlen. Der verfassungsmässig garantierte Anspruch auf materielle Hilfe in Not verkommt immer mehr zu einem Straftatbestand.

Wer hingegen reich ist, wird mit Privilegien überschüttet. Er oder sie soll keine Erbschaftssteuer zahlen, wird im Rahmen von Standortmarketing umworben und hat Vertrauen verdient. Jede Kontrolle, ob denn die Steuern bezahlt werden, ist des Teufels und jede Steuerkommissärin eine zu viel.

FDP-Nationalrat und Bankenlobbyist Hans-Peter Portmann will nun noch weiter gehen. Er schwandroniert zwar einerseits über die hohe Steuermoral (was für ein Begriff, als ob Gesetze einhalten eine moralische Leistung ist) und anderseits will er nun eine neue Steueramnestie. Wer hinterzogene Vermögen offenlegt, soll nicht gebüsst werden und nur für maximal fünf Jahre Nachsteuern plus Zinsen nachzahlen. Schliesslich könne sich der Staat so über grosszügige Mehreinnahmen erfreuen – wie wenn die ja nicht sowieso bezahlt werden müssten. Die Forderung ist typisch: Nach wie vor verweigern die Bürgerlichen jegliche Kontrolle und Regulierungen von Gutbetuchten. Jahr für Jahr lehnen sie die linken Anträge auf Stellenaufstockung im Steueramt ab und fordern stattdessen Nachsicht ein. Und gleichzeitig werden sie nicht müde, bei den Benachteiligten noch mehr Eigenverantwortung einzuklagen und noch mehr Kontrollen durchzuführen. Kuschen nach oben, treten nach unten, heisst diese Methode. So was ist doch zum Heulen.

Dass vielen Reichen nicht vertraut werden kann, ist offensichtlich: Verlässliche Zahlen gibt es zwar keine, aber vorsichtige Schätzungen gehen von 5-10 Milliarden Franken aus, um die die Menschen jährlich betrogen werden. Zum Vergleich: Die Gesamtausgaben für die Sozialhilfe auf Stufen Bund, Kantone und Gemeinden betragen zusammen rund 2.3 Milliarden Franken pro Jahr. Auch die Steueramnestie, die seit 2010 läuft und mit der eine einmalige straflose Selbstanzeige möglich ist, spricht eine ähnliche Sprache: 2014 wurden im Kanton Zürich 120 Millionen Franken Nachsteuern und Bussen infolge Steuerhinterziehung bezahlt. Die Dunkelziffer wird um ein Vielfaches höher liegen.

Bei Steuerhinterziehung sind die Anständigen die Dummen. Sie zahlen die Kosten, die für eine funktionierende, demokratische, solidarische Gesellschaft nötig sind. Steuerhinterziehung ist kein Kavaliersdelikt von meistens vermögenden Personen. Es ist Raub an der Gesellschaft und an der Solidarität.

Artikel erschienen als «rote Gedanken» in der PS Zeitung vom 22. Mai 2015. 

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