Wir haben ein echtes Flüchtlingsproblem

Ja, wir haben ein Problem mit Flüchtlingen. Aber es sind nicht Kriegsflüchtlinge und auch nicht Armutsflüchtlinge, die uns Probleme bescheren. Sondern Steuerflüchtlinge, die unsere Toleranzgrenze immer und immer wieder arg strapazieren. Es reicht. Einmal mehr decken Enthüllungsberichte von findigen Journalistinnen und Journalisten Erschreckendes auf: Minutiös berichten sie aus geleakten Dokumenten einer Anwaltskanzlei, wie multinationale Grosskonzerne und Superreiche sich weltweit hemmungslos bereichern. Dank einem ausgeklügelten System von Verlust- und Gewinnverschiebung gelingt es ihnen, ihre Profite in steuergünstige Länder zu verschieben oder sich gar der Besteuerung zu entziehen. Sie nennen das „Steueroptimierung“. Und in der Tat: Die Gesetze, die ihre Politverbündete für sie gemacht haben, legalisieren dieses unverfrorene Gebaren. Die Rechnung ist einfach: Die durch Konzerne und Superreiche verursachten Steuerausfälle zahlen wir mit unseren Steuern – oder mit Abbau in der Bildung, Gesundheitsversorgung, Infrastruktur. Aber nicht nur das: Rohstoff-Multis bringen mit ihrer Steuerflucht die Bevölkerung von rohstoffreichen Länder im Süden um Milliarden. Viele Menschen dort leben in bitterster Armut. Einem Teil bleibt nur die Flucht, um das Leben zu bestreiten. Wenn wir also wollen, dass es weniger Armutsflüchtlinge gibt, dann müssen wir endlich aufhören, sie zu bekämpfen. Und damit beginnen, das zu bekämpfen, was sie erst zur Flucht zwingt: Die grenzenlose Ausbeutung von Mensch und Umwelt zu Profitzwecken.

Die Schweiz steht besonders in der Verantwortung. Als eine der führendsten Drehscheiben des Rohstoffhandels steckt sie ganz tief drin in diesem dubiosen Sumpf von Steuerflucht, Korruption und Ausbeutung. Konkrete Vorschläge gibt es zuhauf – zum Beispiel, dass die Zahlungsströme im Rohstoff-Geschäft transparent werden. Denn die Menschen haben ein Recht zu wissen, zu welchem Preis ihr Rohstoffreichtum verschachert wird. Dank den Paradise-Papers wissen wir beispielsweise, dass der Zuger Rohstoffmulti Glencore im Kongo Schürflizenzen für ein Butterbrot erhalten hat. Das sind hunderte Millionen Franken, die der Bevölkerung des zweitärmsten Landes der Welt fehlen. Ein wichtiger Schritt fordert auch die Konzernverantwortungsinitiative, die Firmen mit Sitz in der Schweiz zur Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards auch im Ausland zwingt. Konzerne sollen in Zukunft für Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörungen haften, die sie verursachen. Denn sie sind ein Reputationsrisiko für die Schweiz. Ob die Initiative im Parlament eine Chance hat? Ich bezweifle es. Die rechte Mehrheit diskutiert lieber darüber, die Entwicklungszusammenarbeit zu kürzen.

 

Text erschienen in wandzeitung.ch

 

 

 

 

 

 

 

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